Wahrheiten-Foffteihn
Die letzten drei Tage waren ereignisreich und haben mich in so vielen Bereichen berührt und nachdenklich gemacht.
Krankenschwestern.
Ich bin berührt und ein wenig demütig, wenn ich erlebe, mit wie viel Freundlichkeit und Gelassenheit die Damen in der Klinik sich um uns Patienten gekümmert haben.
Für jeden ein freundliches Wort, ein aufmunterndes Lächeln für meinen Zimmernachbarn, der starke Schmerzen hat …
Umsichtig, freundlich, menschlich. Ich danke ihnen sehr.
Nicht nur hier, ich habe es auch heut Morgen persönlich getan. Gehört sich in meinen Augen so.
Mein Zimmernachbar.
Ich erlebe ihn als unfassbar freundlichen, positiven alten Herrn, der mit tiefschwarzen, blitzenden, schelmischen Augen in die Welt blickt.
Aber seine Welt ist eine andere als meine.
Er lebt in der Vergangenheit, leidet meiner unkundigen Meinung nach an schwerer Demenz. Er weiß nicht, was er mir vor fünf Minuten erzählt hat, erinnert sich aber minutiös an Ereignisse in seiner Vergangenheit, die Zeit kurz nach der Hochzeit im Allgäu nahe Mindelheim ist besonders plastisch präsent und ist immer wieder Inhalt seiner Erzählungen.
Seine geliebte Frau, die vor über zwanzig Jahren gestorben ist, seine Nachbarn, die ihn als Flüchtling aus dem Sudetenland zunächst nicht akzeptieren konnten … ich kenne nun jeden seiner Nachbarn namentlich.
Ich bin zunächst ratlos und fühle mich mit der Situation überfordert.
Demenz ist bisher etwas, das in meinem Umfeld nicht stattgefunden hat.
Wie reagiere ich "richtig"?
Soll ich ihm antworten "Herr K., dass Ihre Frau eine begnadete Schneiderin war, das haben Sie mir doch gerade schon erzählt und auch die Geschichte vom roten Kleid auf dem Schützenfest!"?
Kann ich nicht.
Warum auch?
Er hätte meinen Einwurf vermutlich nicht verstanden und hätte ihn auch gleich wieder vergessen …
Wir liegen da nebeneinander, über weite Strecken des Tages weitgehend zur Untätigkeit verdammt.
Mehr und mehr gewinne ich das Gefühl, dass Herr K. seit dem Tod seiner Frau niemanden mehr hatte, mit dem er sich hätte unterhalten können.
Er erzählt und erzählt und erzählt.
Zwar immer das gleiche, aber immer mit diesem Strahlen in den Augen und fast immer drehen sich seine Erzählungen darum, wie wichtig ihm das Glück seiner Lieben ist.
Seine Frau, sein Sohn, seine Enkelin in Brasilien.
"Mei, was hat sie mich immer umarmt und gebusselt, wie sie noch bei uns war! Das war mein Glück!"
Zwischendrin immer wieder minutenlange Pausen, in denen ich in seinen Augen sehen kann, dass er gerade ganz weit weg in der Vergangenheit ist. Bei seiner Frau. In den 1960ern, kurz nach der Hochzeit. Sie muss eine bildschöne, elegante Frau gewesen sein.
Er lächelt, Tränen steigen in seine Augen.
Dann, völlig unvermittelt ein Lacher
"Und wie schön sie war, wenn sie ihre neuen Kleider getragen hat! Die hat sie sich alle selbst geschneidert und unsere Nachbarn waren immer neidisch auf mich um diese schöne Frau! Und eine Frau, die man lieben darf, das ist doch das wichtigste, oder?"
So höre ich ihm zu, unterhalte mich mit ihm, gehe auf seine Erzählungen ein.
Erinnert er sich heute noch daran?
Ich weiß es nicht.
Hat es ihm in diesen drei Tagen gut getan?
Ich möchte es gerne glauben.
Hätte ich das noch lange so geduldig ausgehalten?
Vermutlich nicht.
War meine Reaktion die "Richtige"?
Ich habe keine Ahnung. Mein Gefühl sagt mir aber, dass ich es nicht anders hätte tun können. Ihn maßregeln, sich doch nicht immer zu wiederholen?
Nee.
Einfach abschalten und ihn links liegen lassen?
Kann ich nicht, wenn ich sehe, wie gerne er mir etwas erzählen möchte.
Der Focus seiner Erinnerungen liegt in weiter Ferne. Was nah bei uns ist, verschwimmt oder ist sogar nicht einmal erkennbar für ihn.
Und so ist heute für mich eine weitere Foffteihn-Premiere: Ich bin gezielt auf die Suche nach einem Bild gegangen, das zu den Gedanken passt, die mir heute schon den ganzen Tag im Kopf rumschwirren.
Ich glaube, ich habe es gefunden.
Ich wünsche Herrn K. alles erdenklich Gute für seine Zukunft. Er hat mit 80 Jahren ein neues Schultergelenk bekommen, geht morgen für fünf Wochen auf Reha … Machen Sie's gut, Herr K.
Sie werden sich nicht an mich erinnern, aber wir hatten eine gute Zeit miteinander!
Sie haben mich berührt!
Und mir Gedanken geschenkt, die ich noch nie gedacht habe.
Inmichgekehrt-Foffteihn.
Dankbarkeit, gedankenvoll.
Tief, anstrengend,
Foffteihn halt.
Was hat es mit Foffteihn auf sich?
Hier erkläre ich es Dir.
Herzlich willkommen bei Foffteihn!
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